Hochleistungsrechnen für alle - Christoph Dellago


21.10.2024

Hochleistungsrechnen für alle: Einblick in den Supercomputing-Masterplan


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Christoph Dellago, Professor für Computational Physics und Teil des EuroCC-Austria-Teams, erzählt im Interview über die Revolution, die Machine Learning in Wissenschaft und Industrie gerade auslöst. Er erklärt, wie das EU-Projekt EuroCC User:innen dabei unterstützt, KI-Anwendungen auf europäischen Supercomputern umzusetzen und wie die Zukunft des High-Performance Computing (HPC) aussehen könnte. Kleiner Spoiler: HPC ist bald für alle da.

Das Interview führte Bettina Benesch

Christoph, was ist das Spannendste, an dem du gerade arbeitest?


Ich arbeite im Überschneidungsbereich von statistischer Physik und den Materialwissenschaften, und da passiert gerade eine Revolution. Und diese Revolution heißt maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz. Da tun sich ganz neue Möglichkeiten auf: In vielen Bereichen können wir mit Hilfe von Methoden des maschinellen Lernens Berechnungen jetzt viel schneller durchführen, als wir es davor konnten. Einfach weil wir die künstliche Intelligenz trainieren, die Lösung der Schrödinger-Gleichung zu lernen (Anm.: Die Schrödinger-Gleichung liegt der gesamten Materialphysik zugrunde). Sie zu lösen ist numerisch sehr aufwendig. Und jetzt gibt es eine einfachere Methode, nämlich über maschinelles Lernen.

Die KI ist gewissermaßen eine Abkürzung. Wenn das gelingt, können wir Simulationen machen und berechnen, wie Atome sich bewegen und anordnen, wenn bestimmte Prozesse ablaufen und wie das dann zu den Materialeigenschaften führt, die man gerne vorhersagen möchte.

Momentan gibt es einen riesigen Hype um dieses Thema, aber ich bin sicher, dass es weitaus mehr ist als ein Hype. Das sind Dinge, die bleiben und grundlegend verändern werden, wie wir Forschung in vielen Bereichen machen. Das betrifft nicht nur die Physik oder die Chemie, sondern auch die Biologie und andere Wissenschaften.
 

Eine Möglichkeit, in dem Bereich voranzukommen, ist das EU-Projekt EuroCC. Es läuft seit 2021 und du bist Teil des Teams in Österreich. Welche Vorteile ergeben sich durch EuroCC für den Forschungsstandort Österreich?
 

Ich glaube, da muss man unterscheiden zwischen Vorteilen, die sich sofort ergeben und langfristigen Entwicklungen. EuroCC ist ein Projekt, an dem über 30 verschiedene europäische Staaten beteiligt sind und dadurch ergeben sich Möglichkeiten der Kooperation zwischen den einzelnen Ländern und deren HPC-Zentren, aber natürlich auch zwischen der Industrie und dem akademischen Bereich. Diese Kontakte werden zum Beispiel durch Trainingsaktivitäten hergestellt, durch Vernetzungsevents, aber auch konkret durch Proof-of-Concept-Projekte.

Mindestens genauso wichtig ist die langfristige Entwicklung: EuroCC ist ein Projekt des EuroHPC Joint Undertaking, einer Kooperation zwischen der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten und auch industriellen Partnern. Durch die Teilnahme an diesem großen Projekt übernimmt Österreich auch Verantwortung für die Entwicklung des Ökosystems im Bereich Computing.

Ich glaube, es ist ganz wichtig, hier am Ball zu bleiben. Für mich ist das vielleicht sogar die Hauptwirkung von EuroCC: einen Beitrag zu leisten, dass Österreich Teil dieser Entwicklung ist und auch Zugang hat zu Rechenressourcen in ganz Europa. Das sind dann Rechner an den europäischen Rechenzentren, inklusive Pre-Exascale- und Exascale-Systemen.

Durch die Teilnahme am EuroCC-Projekt übernimmt Österreich die Verantwortung für die Entwicklung des Ökosystems im Bereich Computing.


Kannst du kurz eine Zwischenbilanz ziehen? Gibt es dank EuroCC bereits positive Veränderungen?


In der ersten Projektphase von 2021 bis 2022 gab es einige Erfolge und jetzt in der zweiten Phase gab es auch schon einige interessante Projekte, wo EuroCC mit Firmen zusammengearbeitet hat, in Proof-of-Concept-Projekten: EuroCC übernimmt zwar nicht die Programmier-Arbeit oder die Datenanalyse für Firmen, aber es unterstützt bei der Entwicklung von Projekten und beim Zugang zu High-Performance-Computing-Ressourcen und da gibt es schon einige erfolgreiche Projekte: Zum Beispiel mit der Firma Hakom im Bereich der Energiewirtschaft zur Analyse von Zeitreihen oder eine Zusammenarbeit mit der Firma Reintrieb zur Entwicklung eines innovativen Schiffsantriebssystems.

Jetzt, in der zweiten Phase von EuroCC, spielt natürlich KI eine wichtige Rolle. Da gab es vor kurzem auch einen schönen Erfolg mit dem Supercomputing Accelerator, einer Initiative, bei der Firmen bei ihren HPC-, AI- und Big-Data-Projekten unterstützt werden in Form von Trainings, bei der Erstellung von Businessplänen und bei Proof-of-Concept-Projekten. Hier gab es von Startups und KMU sehr großes Interesse, das uns selbst überrascht hat. Es hat mittlerweile jeder und jede verstanden, dass Supercomputing und KI wichtige Bereiche sind. Alle wollen davon profitieren und das ist gut.


Woran messt ihr den Erfolg von EuroCC?


Ein wichtiger Indikator für mich ist das Interesse, das EuroCC-Aktivitäten hervorrufen bei den Startups und den KMU. Was man dabei aber nicht vergessen darf, ist: Das Projekt EuroCC ist wichtig, aber ich glaube, es muss in dem Bereich von allen Akteuren in Österreich stark investiert werden, damit hier langfristig Innovation passieren kann.
 

Welche Akteure sprichst du an?


Alle werden künftig in Supercomputing und KI investieren müssen. Die Universitäten genauso wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, der öffentliche Sektor und die Unternehmen.
 

Die zweite Projektphase von EuroCC endet 2025. Wird es EuroCC Part 3 geben?


Ich rechne schon damit, dass es ein von EuroHPC gefördertes Projekt EuroCC 3 geben wird, weil der Bedarf da ist. Vor allem auch deshalb, weil die Entwicklungen im Bereich KI Rechnerressourcen voraussetzen, die nicht ganz trivial sind. Ich glaube, es ist vor allem wegen der Entwicklungen im Bereich KI und ihrer Anwendung in allen Bereichen der Wissenschaft und auch in der Industrie, wichtig, die Rechenressourcen in ganz Europa weiterzuentwickeln. Die Europäische Union hat erkannt, dass es im Kontext der weltweiten Entwicklung entscheidend ist, im Supercomputing den Anschluss nicht zu verlieren.

Gleichzeitig wird sich dieses Projekt auch um weitere Förderungen bemühen und ich denke, dass es auch möglich sein wird, Unternehmen zu finden, die bereit sind für die Dienste zu zahlen, die EuroCC anbietet.
 

In ganz Europa entstehen derzeit neue Supercomputing-Systeme, das neue österreichische System heißt MUSICA (Multi-Site Computing Austria) und wird an drei Standorten verteilt rechnen. Welche Projekte gibt es abgesehen von MUSICA noch?
 

Derzeit laufen mehrere Pre-Exascale-Rechner in Europa. Einer davon ist LEONARDO, welcher am italienischen Rechenzentrum CINECA in Bologna betrieben wird und an dem auch Österreich beteiligt ist. Derzeit wird an zwei Exascale-Rechnern gebaut: einer wird in Deutschland stehen und einer in Frankreich. Sie gehen bald in Betrieb und stehen im Rahmen von EuroCC allen User:innen in Europa zur Verfügung.

Wie wird es darüber hinaus weitergehen?


Wenn man sich die Entwicklung der Rechner in den letzten Jahren anschaut, dann bin ich sicher, dass es nicht bei diesen zwei Exascale-Systemen bleiben wird. Ich glaube aber auch, dass sich irgendwann die Frage der Energieeffizient im großen Stil stellen wird: Je mehr Energie ein HPC-System bzw. alle HPC-Systeme brauchen, umso eher wird Nachhaltigkeit ein zentrales Thema. Ein Ziel muss es deshalb sein, den Energieverbrauch erstens zu vermindern und zweitens nachhaltige Energieversorgung umzusetzen.
 

Welche Herausforderungen siehst du noch auf uns zukommen in Bezug auf HPC und AI?


AI ist natürlich an und für sich eine große Herausforderung, weil sie ein extrem mächtiges Tool ist, das auch missbraucht werden kann. Protokolle zu erstellen, die das verhindern, ist natürlich eine sehr wichtige Sache.
 

In welche Richtung geht HPC deiner Meinung nach?


Ich glaube, High Performance Computing wird interaktiver werden: Wir werden im Forschungsprozess schneller eine Rückmeldung bekommen und dann aufgrund dieser Rückmeldung neue Berechnungen machen.

KI wird die Forschung komplett umkrempeln. Der Blick in die Glaskugel ist zwar immer schwierig, aber ich bin sicher, dass High-Performance Computing eine immer größere Rolle spielen wird – und zwar auch in Bereichen, die es derzeit nicht nutzen. Die traditionellen Domänen von HPC sind Physik, Chemie, Materialwissenschaften, die Astronomie oder die Biologie.

Immer häufiger sehen wir seit einiger Zeit Aktivitäten in anderen Bereichen: in der Soziologie, Linguistik, in der Archäologie, natürlich auch in der Medizin. Und ich gehe davon aus, dass dieser Trend auch in Zukunft anhalten wird.

KI wird die Forschung komplett umkrempeln und HPC wird immer größere Rolle spielen.


Zur Person

Christoph Dellago hat an der Universität Wien Physik studiert und war anschließend mehrere Jahre in den USA als Postdoc und Professor tätig. 2003 folgte er dem Ruf an seine Heimatuniversität als Professor für Computational Physics. Christoph hat derzeit verschiedene Funktionen inne, unter anderem ist er Direktor des Erwin Schrödinger Instituts für Mathematik und Physik, hat einen Platz im Steering-Komitee des Vienna Scientific Cluster und ist auch im EuroCC-Projekt involviert. In seiner aktuellen Forschung befassen sich Christoph und sein Team mit den Eigenschaften von Materialien unter anderem bei Phasenübergängen (z. B. fest zu flüssig).


Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt