Mehr als heiße Luft: fliegende Wüsten
Mehr als heiße Luft: Innsbrucker Forscherin untersucht fliegende Wüsten
Fliegende Teppiche kennen wir aus Märchen, aber fliegende Wüsten sind real: dicke Pakete aus heißer Wüstenluft, die bis nach Europa reisen. Dort legen sie sich wie ein Deckel über die Atmosphäre und beeinflussen unser Wetter. Die Atmosphärenwissenschaftlerin Fiona Fix-Hewitt erforscht dieses kaum bekannte Phänomen mit Supercomputing und Millionen virtueller Luftballons. Im Gespräch erzählt sie über die Dynamik der Atmosphäre und das Leben mit HPC-Systemen.
Bettina Benesch
Jeder kennt fliegende Teppiche. Aber was sind fliegende Wüsten?
Fiona Fix-Hewitt: Das sind Luftmassen, die in warmen, trockenen Gebieten in Bodennähe entstehen. Wir nennen sie auch Atmospheric Deserts. Bei uns in Europa muss erst ein bisschen von der Feuchte im Boden verdunsten und der Rest der Energie kann dann zum Aufheizen der Luft benutzt werden. Aber in Wüstengebieten, weil es so trocken ist, kann sie direkt in die sogenannte fühlbare Wärme umgesetzt werden. Deswegen ist die bodennahe Luftschicht dort sehr warm und trocken; bis zu 40 Grad Celsius können es schon werden. Wir nennen diese bodennahe Schicht auch Grenzschicht oder atmosphärische Grenzschicht. Sie wächst in der Wüste auf bis zu sechs Kilometer Höhe, während sie bei uns typischerweise eher ein bis zwei Kilometer dick ist.
Durch das Zusammenspiel von Tief- und Hochdruckgebieten wird die warme, trockene Luft, die zum Beispiel in Nordafrika bodennah entsteht, Richtung Europa transportiert. Weil sie wärmer und trockener ist als die Luft bei uns in Bodennähe gleitet sie dann obenauf. Man hat dann unsere normale Grenzschicht und darüber diese fliegende Wüste.

In wie vielen Kilometern Höhe spielt sich das ab?
Fiona Fix-Hewitt: In einer Höhe ab der Grenzschicht, die sich in ca. zwei Kilometern befindet. Die ganze warme Luftmasse kann dann nach oben bis in circa zwölf Kilometer Höhe reichen.
Welche Fläche haben die Luftmassen, die du erforschst?
Fiona Fix-Hewitt: Die können schon ganz Europa abdecken. Ich beobachte die fliegenden Wüsten derzeit von Afrika weg über einen Zeitraum von fünf Tagen, und in dieser Zeit können sie es bis nach Norwegen schaffen.
Warum genau fünf Tage?
Fiona Fix-Hewitt: Ich gehe davon aus, dass sich die Luftmasse danach so sehr verändert hat, dass sie nicht mehr wüstenartig ist und dementsprechend nicht mehr relevant ist für das, was wir uns anschauen.

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Die fliegende Wüste wirkt wie ein Deckel. Das kann dazu führen, dass warme Luft darunter gefangen und Gewitter unterdrückt werden. Anderswo gewittert es dann stärker.
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Du hast erzählt, die heiße Luft liegt über der kühleren. Warum mischen sich die beiden Luftschichten nicht?
Fiona Fix-Hewitt: Da die Wüstenluft sehr trocken und warm ist, bleiben die Schichten getrennt, denn warme Luft möchte nach oben und die feuchtere, kühlere Luft bleibt unten. Natürlich mischt es sich immer ein bisschen an der Grenze durch Turbulenz; und auch dann, wenn unsere Grenzschicht schon sehr warm ist und die Wüstenluft auf dem Weg zu uns ein bisschen abgekühlt ist. Je näher die Eigenschaften der beiden Luftschichten sind, desto eher vermischen sie sich dann auch. Aber solange sie unterschiedlich beschaffen sind, bleiben sie getrennt.
Wie wirkt sich das aus?
Fiona Fix-Hewitt: Die fliegende Wüste wirkt wie ein Deckel, und das kann verschiedene Auswirkungen haben: Es kann dazu führen, dass warme Luft unter dem Deckel gefangen wird und dementsprechend die Temperatur in Bodennähe mehr ansteigt, als es ohne diesen Deckel passieren würde. Der Deckel ist auch relevant für die Gewitterbildung. Man kann sich das vorstellen wie eine Lavalampe, in der die Luftblasen nach oben steigen. Auch unsere Gewitter müssen hoch genug ansteigen können, um wirklich zu gewittern und nicht nur eine Wolke zu sein.
Wenn jetzt aber dieser warme Deckel da ist, kann die Luft nicht höher steigen. Das heißt, die Gewitterbildung wird unterdrückt. Aber am Rand der fliegenden Wüsten kann die Luft aufsteigen und dort bilden sich dann Gewitter – sogar verstärkt, das heißt, es gewittert dort häufiger und teilweise auch stärker. Wie das alles genau zusammenhängt und wie es sich konkret auswirkt, versuchen wir in unserem Projekt „Athmospheric Deserts“ gerade zu verstehen.
Warum ist es wichtig, hinter diesen Mechanismus zu kommen?
Fiona Fix-Hewitt: Es geht darum, zu verstehen, wie Extremwetter – dazu gehören Gewitter – entstehen, um sie besser vorhersagen zu können. Wenn wir zum Beispiel wissen, dass in der Randzone der fliegenden Wüsten die Gewitterwahrscheinlichkeit höher ist, kann das für die Wettervorhersage aussagekräftig sein.

Was hast du bei deinen Forschungen noch herausgefunden?
Fiona Fix-Hewitt: Typischerweise befinden sich die fliegenden Wüsten ein bis fünf Tage lang über Europa, je nachdem, wo man schaut: In Norwegen sind sie nicht so lange wie im Mittelmeer, weil es natürlich länger braucht, bis die Luft von Afrika dorthin kommt. In der Mittelmeerregion sind fliegende Wüsten aber in fast der Hälfte der Zeit vorhanden. In Österreich haben wir zwischen 20 und 25 Prozent der Zeit Luft aus der Sahara irgendwo über uns.
Was sich in unserer Forschung nicht gezeigt hat, ist ein großer Einfluss der fliegenden Wüsten auf die Temperatur der Grenzschicht in Europa. Das hatten wir ursprünglich gedacht. Aber auch das ist ein wertvolles Ergebnis.
Wie könnten die Ergebnisse deiner Forschung die Art beeinflussen, wie wir Wetter einschätzen und mit Wetter und Klima umgehen?
Fiona Fix-Hewitt: Jetzt im Moment forsche ich in erster Linie an europäischen fliegenden Wüsten. Aber eigentlich gibt es sie überall, wo es auch Quellgebiete gibt, die warm und trocken sind. Und die gibt es in sehr vielen Regionen der Welt: Etwa 30 Prozent des Planeten bestehen aus Wüsten.
Wir sehen unsere Forschung im Zusammenhang mit anderen Phänomenen, die schon etwas besser untersucht wurden. Eine Idealvorstellung wäre also, dass das Konzept der fliegenden Wüsten ein vereinigendes Konzept unterstützt: Derzeit werden verschiedene Phänomene einzeln betrachtet, die vermutlich zusammenhängen. Und wenn wir ein übergreifendes Konzept erstellen können, dann hat es hoffentlich sehr viel Wert für die Wettervorhersage.
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Derzeit werden verschiedene Wetterphänomene einzeln betrachtet, die vermutlich zusammenhängen. Wenn wir ein übergreifendes Konzept erstellen können, dann hat es hoffentlich sehr viel Wert für die Wettervorhersage.
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Welchen Einfluss haben fliegende Wüsten auf das Klima?
Fiona Fix-Hewitt: Zum Klima kann ich noch nicht so viel sagen, weil mein Datensatz nur über zwei Jahre reicht. Wenn ich aber an fliegende Wüsten im Zusammenhang mit Klimawandel denke, kommen bei mir zwei Facetten ins Spiel.
Nummer eins: Es ist bekannt, dass immer mehr Regionen desertifizieren, also verwüsten. Die Sahara zum Beispiel dehnt sich aus und auch andere Regionen werden trockener. Das heißt, es gibt potenziell mehr Quellgebiete, und potenziell öfter und mehr fliegende Wüsten und vielleicht mehr Gebiete, die von ihnen betroffen sind.
Nummer zwei: Mit dem Klimawandel verändern sich auch die großskaligen Wettersituationen, der Jetstream und die Lage von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Das kann zur Folge haben, dass die fliegenden Wüsten häufiger und länger vorkommen – oder vielleicht auch seltener.
Wie steht es allgemein um die Forschung an fliegenden Wüsten? Wie viele Menschen untersuchen dieses Phänomen weltweit?
Fiona Fix-Hewitt: Unser Projekt ist das Erste, das fliegende Wüsten in dieser Form untersucht, nämlich als übergeordnetes Phänomen verschiedener anderer Wetterereignisse. Mitarbeiter:innen in dem Projekt sind mein Betreuer Prof. Georg Mayr, unsere Masterandin, Jana Schitthof, und ich, sowie unsere Kolleg:innen am Statistik-Institut. Es gibt schon Forschung an sogenannten Elevated Mixed Layers, das ist eine abgehobene, gut durchmischte Luftschicht. Sie bildet sozusagen eine Untergruppe zu den fliegenden Wüsten. Diese Elevated Mixed Layers sind in der Vergangenheit schon ein bisschen erforscht worden, viel in den USA, auch ein bisschen in Europa und darauf bauen wir auf.
Der Begriff „fliegende Wüsten“ ist also eine Generalisierung, eine Erweiterung von diesem Begriff der Elevated Mixed Layers. Wir wollen verstehen, wie in diesem allgemeineren Fall die Luft aus der Sahara sich verändert auf dem Weg, und wie sich das auf die Gewitterbildung und Temperatur in Europa auswirkt – und was sich von Elevated Mixed Layers übertragen lässt und was anders ist.
Wie untersuchst du die Bewegung der Luftmasse genau?
Fiona Fix-Hewitt: Ich verwende sogenannte Trajektorien. Eine Trajektorie ist der Pfad, den etwas im Lauf der Zeit zurücklegt. In meinem Fall ist es der Weg der Luftmasse auf ihrer Reise nach Europa. Man kann sich die einzelnen Trajektorien so vorstellen wie tausende Luftballons, die ich aus der Sahara loslasse. Jeder einzelne Luftballon ist ein Luftpaket und sein zurückgelegter Weg eine Trajektorie, und alle Luftpakete zusammen ergeben die Luftmasse. Mit einem speziellen Trajektorienmodell kann ich so den Pfad der Luftmasse berechnen. Ich verwende LAGRANTO, das Lagrangian Trajectory Analysis Tool. Das braucht dann noch Input zu atmosphärischen Daten, wie z. B. Wind, Temperatur oder Druck. Und dann errechnet es mir die Pfade.


Deine Arbeit erfolgt vom Rechner aus, mit High-Performance Computing (HPC). Wie hast du dir das Wissen rund um Supercomputing angeeignet?
Fiona Fix-Hewitt: Ein bisschen gezwungenermaßen begleitet mich HPC schon sehr lange. In meiner Masterarbeit tatsächlich nicht, aber in meiner Bachelorarbeit schon. In unserer Disziplin arbeiten wir mit großen Datensätzen, da braucht es HPC. Gelernt habe ich es durch ganz viel Learning by Doing. Ich habe auch einen Workshop am ASC dazu gemacht.
Mit welchem HPC-System rechnest du?
Fiona Fix-Hewitt: Mit dem ASC.
Welche drei Wörter verbindest du mit Supercomputing?
Fiona Fix-Hewitt: Riesige Datenmengen. Parallelisieren. Und Debugging. Ganz viel Debugging.
Was sind die häufigsten Bugs?
Fiona Fix-Hewitt: Manchmal sind es clusterbedingte Probleme. Da kann ich teilweise gar nicht viel machen, ich muss sie nur als solche erkennen. Gerade heute Morgen zum Beispiel ist der Supercomputer down und ich kann mich nicht einloggen. Manchmal stirbt ein Job ab und man weiß nicht genau warum. Teilweise tauchen Probleme mit dem Code auf, die man selbst verursacht hat.
Wie viel künstliche Intelligenz (KI) steckt eigentlich in deinem Projekt?
Fiona Fix-Hewitt: Man kann sagen ich benutze KI im weitesten Sinn: Ich benutze statistische Methoden, auch maschinelles Lernen, was zu KI gezählt werden kann, aber ich würde nicht sagen: Das ist die KI, die gerade in aller Munde ist. KI beinhaltet ja viel mehr als ChatGPT, eben auch solche statistischen Modelle.
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Drei Begriffe zu HPC? Riesige Datenmengen. Parallelisieren. Und Debugging. Ganz viel Debugging.
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Zur Person
Fiona Fix-Hewitt studierte Meteorologie an der Universität Hamburg, schloss sowohl Bachelor als auch Master mit Bestnoten ab und wurde mehrfach ausgezeichnet; unter anderem von der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft, und erhielt ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Sie ist Atmosphärenwissenschaftlerin und seit Mai 2023 PhD-Kandidatin am Department of Atmospheric and Cryospheric Sciences (ACINN) der Universität Innsbruck.
Im Rahmen ihres PhD-Projekts „Atmospheric Deserts“ beschäftigt sie sich mit den sogenannten fliegenden Wüsten, also extrem warmen, trockenen Luftmassen aus Wüstenregionen. Ihre Forschung dreht sich um die Frage, wie fliegende Wüsten entstehen, wie sie sich auf ihrem Weg nach Europa verändern und welchen Einfluss sie auf Hitze- und Gewitterereignisse in Europa haben.
