Rail4Future


Mit Rail4Future kostengünstig, komfortabel und klimaneutral durch Europa

von Irene Reichl (VSC Research Center)

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Den ökologischen Fußabdruck einer stetig steigenden Bevölkerungszahl niedrig zu halten, ist eine der Kernaufgaben für den Klimaschutz. Im Bereich der Mobilität nimmt die Bahn als CO2-armes Fortbewegungsmittel hierfür eine wichtige Stellung ein. Außerdem ist die Bahn das geeignete Mittel, um bei wachsendem urbanen Gebiet rasch von A nach B zu gelangen. Würde der Transport auf der Straße abgebildet, gäbe es Verkehrstaus ohne Ende, vermehrten Abgasausstoß und dadurch eine schlechte Luftqualität in Städten.

Die Vorgabe, immer mehr Personen bei zuverlässigem und attraktivem Fahrplan zu transportieren, stellt hohe Ansprüche an die Bahn. Deswegen stärkt Rail4Future die Resilienz der Schiene mit Hilfe digitaler Methoden. Sensorik, Prüfstände, Modelle und Berechnungen sind schon lange und mit Erfolg im Einsatz. Neu ist die Modellierung des gesamten Eisenbahnnetzes als Reaktion auf Wetter und Zugverkehr und die Visualisierung desselben, die es erlaubt, die Situation in Echtzeit abzuschätzen und Entscheidungen zu treffen.

Die Bahn als eines der energieeffizientesten Transportmittel kann uns dem Klimaziel näher bringen, bis 2050 90% des CO2 Ausstoßes einzusparen. Zum einen, wenn der Betrieb selbst energieeffizienter wird. Andererseits, wenn Menschen von motorisiertem Individualverkehr auf die Bahn als umweltfreundliches Fortbewegungsmittel umsteigen. Um letzteres zu erwirken, muss die Bahn attraktiver werden. Dies beinhaltet günstigere Bahnkilometer sowie dichtere und zuverlässige Fahrpläne.

Ein Pfeiler der Bahn sind deren Anlagen, seien dies Schienen, Signale, Tunneln oder Brücken. Verspätungen und Zugausfälle können vermieden werden, wenn rechtzeitig fehlerhafte Infrastrukturkomponenten erkannt und ausgetauscht werden. Hier setzt Rail4Future an.

 

Von der Simulation der einzelnen Brücke zur Simulation des Netzverhaltens

 

Bisher wurden nur Teilaspekte simuliert, die eine Weiche, die kritische Kurve, der Tunnel. Der innovative Aspekt von Rail4Future ist die Simulation des gesamten Netzverhaltens. Dies ist einzigartig, denn selbst in Computerspielen vom Trainsimulator bis zur Raumfahrt wurde bis jetzt noch nie echte Infrastruktur simuliert. “Offizieller Kickoff von Rail4Future war der 1. April 2021, die Partner arbeiten sehr fokussiert zusammen,” freut sich Thomas Petraschek. Das Team agiert hoch interdisziplinär, von Finite Elemente Simulation in der Festigkeitslehre, Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) bis hin zur Visualisierung der gesamten Bahnstrecke inklusive ortsaufgelöster fehlerhafter Komponenten.

50 km Teststrecke Bruck-Graz

Die Strecke Bruck-Graz wurde bereits als Punktwolke digitalisiert, um daraus mittels KI auf die Komponenten, wie Schienen, Schwellen, Signale oder Lärmschutz, schließen zu können. Hier wird sich zeigen, wie genau die theoretischen Modelle mit all ihren Vereinfachungen und Annahmen die Realität abbilden können. Die Anforderungen an die akzeptierte Unsicherheit sind enorm hoch, sie liegt unter 10-13. Abgesehen davon, dass ein eingehaltener Fahrplan essentiell für den Betrieb ist, müssen fehlerhafte Komponenten rechtzeitig erkannt werden, um Schäden an Zügen und Anlagen und im Extremfall bei Unfällen an Personen zu verhindern.

Verdichtung des Fahrplans

Die Intervalle zwischen den Zügen lassen sich nicht beliebig verkürzen, denn durch die Philosophie der Vorsignale und Signale sind natürliche Grenzen gesetzt. Die weitere Verdichtung lässt sich durch größere Schienenkapazität realisieren. Ein alternativer Vorstoß ist es, die Signale durch Kommunikation unter den Zügen zu ersetzen und so die Latenzzeiten zu verringern. Eine derartige Technologie ist auf der Straße in C-ITS bereits realisiert, das unter dem Schlagwort “Intelligente Mobilität für weniger Verkehrsunfälle” bekannt ist.

Anlagenseitig bedeutet ein dichterer Fahrplan eine höhere Belastung, besonders dann, wenn es sich nicht nur um Personen-, sondern auch um die viel schwereren Güterzüge handelt. Eine Brücke beispielsweise wird auf 80 Jahre bilanziert, bei erhöhter Belastung müsste sie neu bilanziert werden. In der Simulation werden unterschiedliche Fahrpläne herangezogen und so die Anlagenantwort auf die Beanspruchung durch Züge pro Zeiteinheit errechnet.

Thomas Petraschek, Leiter Forschung & Entwicklung ÖBB, Rail4Future - Konsortiumsleader: "Sensorik, Prüfstände, Modelle und Berechnungen sind schon lange erfolgreich im Einsatz. Neu ist die Modellierung des gesamten Eisenbahnnetzes als Reaktion auf Wetter und Zugverkehr und die Visualisierung desselben, um in Echtzeit reagieren zu können.”

Time-to-market abkürzen

Auf der Schiene kann es zwischen Konzeption und Umsetzung in den Betrieb bis zu 30 Jahre dauern. Denn es braucht sehr lange, die für die Zulassung vorgegebene unfallfrei gefahrene Strecke real abzuspulen. Was beim autonomen Fahren auf der Straße längst Realität ist, dass für die Zulassung 70% der Kilometer am Simulator gefahren werden dürfen, könnte auch auf der Schiene die time-to-market Zeit wesentlich abkürzen. Deswegen liegt es auf der Hand, seriöse aussagekräftige Software zu entwickeln und auch auf High-Performance Computing (HPC) Systeme zuzugreifen. Im Laufe des Projekts wird eine digitale Zwillingsbibliothek entstehen, um das Maß an on-track-testing zu reduzieren.

Effiziente Software und schnelle Rechner

“Einen Meter Schiene rechne ich selbst mit Abaqus am PC,” lacht Thomas Petraschek, “doch ein gesamtes Schienennetz in Echtzeit zu simulieren, Abweichungen zu erkennen und darauf zu reagieren bedarf sehr starker Rechenleistung und smarter Programme.” Abweichungen kommen im Betrieb laufend vor, beispielsweise Murabgänge auf die Bahntrasse, Verformung von Schienen durch extreme Temperaturen oder Rettungseinsätze. Ziel ist es, blitzschnell mit Hilfe von Algorithmen und KI, die neue Route bzw. einen modifizierten Fahrplan zu errechnen. Ebenso benötigen strukturmechanische Berechnungen, die Betrachtung von Reibung und Verschleiß sehr starke Rechner. Und nicht zuletzt profitiert die datenintensive Visualisierung des gesamten Schienennetzes von einem HPC System.

Wettbewerbsvorteil stärkt den Industriestandort Österreich

Das Testen der Komponenten, wie Weichen oder Fahrgestelle, an den Anlagen der ÖBB verbessert auch das Know How der Industriepartner* und deren internationale Wettbewerbsfähigkeit, was wiederum den Standort Österreich und tausende Arbeitsplätze sichert.

 

Danach ist davor

 

Vereinfacht gesagt beschäftigt sich Rail4Future mit der Anlagenantwort auf die Wettersituation und die Belastung durch Züge, die entsprechend der Intervalle des Fahrplans über die Schienen rollen. Hierbei wird die Beeinflussung der Schienenfahrzeuge durch die Anlage beiseite gelassen. Zeitgleich läuft derzeit das Projekt TARO, das umgekehrt die Antwort des Zuges auf die Anlage simuliert. Nach Projektablauf sollen die gewonnenen Erkenntnisse aus beiden Projekten kombiniert werden, um das Zusammenspiel als gegenseitige Rückkopplung von Anlage und Schienenfahrzeug zu simulieren. Und wenn das noch nicht genug Aufgabe ist, werden die Energienetze mit simuliert. Das Vermeiden von unnötigem Bremsen und Beschleunigen, insbesondere bei den sehr schweren Güterzügen bergauf, spart immense Energiemengen ein.

Vision eines Railway Digital Twins des Systems Fahrbahn
Bild: voestalpine Railway Systems GmbH